SEITENRISS

Am Morgen des 29.08.2018 tauchte am Mursteg in Graz ein neuer Wegweiser auf.

Seit jeher wird die Stadt Graz vom Gebirgsfluss Mur nicht nur topografisch in zwei Hälften gerissen. Die linke östliche Seite mit dem historischen Stadtkern und den daran anschließenden bürgerlichen Wohnquartieren gilt traditionell als die gute Seite. Am westlichen rechten Murufer liegen die ehemalige Murvorstadt, aber auch die Hauptbahntrasse sowie Gewerbe- und Industriegebiete, die sich bis heute den Charakter als Vorzone zur Stadt, als Auffangbecken für Neuankömmlinge, die klassische Arbeiterschaft und das Unangepasste und Fremde bewahrt haben. Hier finden sich auch die Hauptaustragungsorte der städtischen Weiterentwicklung der vergangenen Jahre, vom Kunsthausquartier und dem Kreativviertel Lend bis zu den großen Stadterweiterungs-gebieten jenseits des Bahnhofs. Früher bezeichnete man diese Hälfte der Stadt unverhohlen als die schlechtere, verfemte Seite. Heute ist man um Ausgleich bemüht, was sich nicht nur anhand des regen „Grenzverkehrs“ auf den Brücken darstellen lässt. Der amtierende Bürgermeister von Graz, Mag. Siegfried Nagl, hebt bei öffentlichen Anlässengerne die positiven Eigenschaften hervor. Er hat mehrfach die linke Seite als „gut“, die rechte als „cool“ bezeichnet.

Ein Unterschied muss sein, nicht alles wird gut.

Nicht nur wir fragen uns:

Wie groß ist die Unterschiedlichkeit der beiden Hälften? Spielt sie im täglichen Stadtleben eine tatsächliche Rolle? Wirken die Grenzen stärker oder die Brücken – Trennendes oder Verbindendes? Ist das Attribut „COOL“ auch gut oder meint es eine Benachteiligung und Abwertung? Ist „GUT“ immer noch gut? Wann ist ein Stadtteil gut und für wen?

 ORT: Mursteg